Gesetz der Anziehung: Esoterischer Quatsch im Marketing
Haben Sie schon vom Gesetz der Anziehung gehört? Demnach können Sie sich ihren persönlichen oder beruflichen Erfolg selbst „manifestieren“. Erforderlich dazu ist nur das richtige „Mindset“, was heute von vielen Coaches und Beratern gerne vermittelt wird. Das Geschäft mit der Hoffnung auf Erfolg blüht, auch wenn sich dahinter nichts als esoterischer Quatsch verbirgt.
Esoterische Konzepte sind normalerweise nicht Gegenstand dieses Blogs. Doch wenn man sie immer häufiger im modernen Marketing wiederfindet, lohnt sich eine Einordnung: Woher kommt der Unsinn und woran kann man ihn erkennen?
Die Anfänge im 19. Jahrhundert
Das Gesetz der Anziehung wurde erstmals im 19. Jahrhundert in einer Schrift der ukrainischen Spiritistin Helena Blavatsky so bezeichnet (englisch: Law of Attraction). Teilweise spricht man heute auch vom Gesetz der Resonanz. Gemeint ist aber immer das Gleiche: Dieses „Gesetz“ basiert auf der Vorstellung, dass Krankheiten, Erfolglosigkeit im Beruf und in der Liebe sowie andere Probleme auf ein falsches Denken zurückzuführen seien: Wer „falsch“ denkt, der „manifestiert“ sich sein Unglück selbst, weil negative Gedanken die dem entsprechenden negativen Lebensumstände „anziehen“. Um Erfolg und Glück zu finden, muss man folglich möglichst positiv denken – oder in moderner Sprache ausgedrückt: Ein positives Mindset haben.
Natürlich spricht nichts gegen positives Denken. Aber die unterstellte Gesetzmäßigkeit, dass Gedanken dazu führen, dass bestimmte Umstände Realität werden, ist eben nur eine Behauptung: Denn diese kann nicht bewiesen werden. Anstelle einer Kausalität, also eines direkten (und messbaren!) Zusammenhangs von Ursache und Wirkung, liegt hier bestenfalls eine temporäre Korrelation vor.
Zudem hätte Helena Blavatsky die Medizin revolutionieren können, wenn es tatsächlich möglich wäre, mit der Kraft der Gedanken Krankheiten zu heilen oder durch positives Denken das Krankwerden von vornherein zu verhindern.
Beim Gesetz der Anziehung liegt keine Kausalität vor, sondern bestenfalls eine temporäre Korrelation. Wissenschaftlich betrachtet muss ein Gesetz überprüfbar und empirisch zu bestätigen sein. Das ist hier nicht der Fall.
Doch wie gelangt so eine Vorstellung in das Marketing? In den USA erkannte man schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dass sich mit diesem „Gesetz“ viel Geld verdienen lässt, wenn man es auf möglichst viele Lebensbereiche anwendet, insbesondere auf Fragen des Glücks, der Liebe und des beruflichen bzw. finanziellen Erfolgs. Im Lauf der Zeit wurde aus den Publikationen zum Thema religiöse Bezüge, die anfangs eine große Rolle spielten, abgeschwächt und durch Begriffe wie „Universum“ ersetzt. Das sicherte dem Gesetz der Anziehung das Überleben in einem zunehmend säkularen Umfeld.
Schnell reich werden: Selbsthilfe-Bücher und dubiose Marketing-Methoden
Ganz ohne Religion kommt etwa das noch heute erhältliche Werk „Denke nach und werde reich“ von Napoleon Hill aus, das 1937 erstmals erschien und sich millionenfach verkaufte. Angeblich hat Hill dazu 500 Millionäre (darunter Andrew Carnegie) befragt, wie sie reich geworden sind. Doch belegt sind diese Interviews nicht. Wahrscheinlicher ist, dass Napoleon Hill sich alles nur ausgedacht und als konzeptionelle Basis auf das wunderbar passende Gesetz der Anziehung zurückgegriffen hat. Es ist auch zu schön um wahr zu sein: Den persönlichen Erfolg zu verbessern allein mit der Hilfe eines veränderten Denkens!
Das Problem hier ist, dass sich dieses Gesetz praktisch nicht widerlegen lässt: Wer manifestiert, damit aber keinen Erfolg hat, macht eben etwas falsch. Am Gesetz selbst liegt es nicht! In der Praxis kann es viele Gründe geben, warum der Erfolg beim Manifestieren ausbleibt, am Ende wird sich die betreffende Person meist selbst die Schuld geben. Man muss dazu nur auf einer Plattform wie YouTube nachsehen: Die Zahl der Erklär-Videos, wie das Manifestieren „richtig“ funktioniert ist unüberschaubar. Noch frappierender sind nur die Abrufzahlen solcher Videos, die (leider) um den Faktor 10 höher liegen als bei solchen, die vor diesem esoterischen Unsinn warnen.
Die Tatsache, dass sich dieses Gesetz kaum bzw. gar nicht widerlegen lässt kombiniert mit der Möglichkeit Erfolg auf allen nur denkbaren Gebieten und Ebenen versprechen zu können, hat zu seinem Einzug in das Marketing geführt. In den USA machten davon zunächst Anbieter des sog. Multi-Level-Marketing Gebrauch. Um ihre Schnellball-Systeme zu etablieren wurde eine Prise erfolgreichen Denkens „eingebaut“, was diese einerseits attraktiver erscheinen ließ und andererseits mögliche Regress-Ansprüche abschmettern konnte: Wer keinen Erfolg hatte, sollte den Fehler bei sich selbst suchen – man hatte eben nicht positiv genug gedacht!
Manifestieren im 21. Jahrhundert: The Secret
Doch die heutige Szene mit Erfolgs-Beratern und -Coaches benötigte noch einen anderen Katalysator. Den lieferte der Film bzw. das Buch zum Film „The Secret“ von Rhonda Byrne. Film und Buch erschienen im Jahr 2006 und brachten das Gesetz der Anziehung ins 21. Jahrhundert. Gleich reihenweise äußerten sich (amerikanische) Prominente positiv dazu und bekannten, selbst zu manifestieren bzw. positiv zu denken. Allen voran Oprah Winfrey, aber auch Autoren von Selbsthilfebüchern wie Bob Proctor und zahlreiche Schauspieler bzw. Schauspielerinnen erweckten den Eindruck, es handle sich hier um eine seriöse und gut erforschte Technik.
Das ist kaum zu glauben, werden doch im Buch bzw. Film haarsträubende Dinge behauptet. Etwa dass man nicht durch Essen übergewichtig werden könne: Es sei nur der Gedanke, dass Essen dick machen würde, der zum Übergewicht führe und nicht das Essen selbst (von entsprechenden Selbstversuchen rät der Autor dieser Zeilen dringend ab!).
Alles ist Energie. Gleiche Dich der Frequenz der Realität an, die Du möchtest und Du erschaffst diese Realität. Das ist keine Philosophie, das ist Physik.
Schlimmer noch: Neben Prominenten werden auch alle möglichen längst verstorbenen Experten damit in Verbindung gebracht. So hat angeblich Albert Einstein gesagt, dass alles im Universum Energie sei und man sich nur mit einer bestimmten Frequenz verbinden müsse, um das damit verbundene Ergebnis Realität werden zu lassen. Natürlich hat Einstein so etwas nie gesagt, aber im Internet ist das Zitat unausrottbar und wird immer wieder gerne vorgebracht (etwa auf Instagram).
Davon ganz abgesehen: Was genau ist denn die Frequenz eines bestimmten Traumziels, wie etwa eines neuen Autos? Um wie viel muss eine Person ihre eigene Frequenz verändern, um genau auf die Wellenlänge des gewünschten Gegenstandes zu kommen? Und wie misst man seine persönliche Frequenz? Wer solche Fragen stellt, wird natürlich keine Antworten bekommen. Woher auch! Das aber zeigt nur, wie leichtgläubig viele Menschen auch heute noch sind: Man lässt sich von vagen Konzepten verführen und fragt erst gar nicht nach handfesten Beweisen.
Wo das Gesetz der Anziehung enthalten sein könnte
Im Marketing ist immer dann Vorsicht geboten, wenn:
- Ergebnisse scheinbar schnell und leicht erreichbar sind („Die beste Strategie für Dein erfolgreiches und müheloses Business“)
- Unrealistisch hohe Umsätze versprochen werden („Wie Coaches und Berater ihr Geld verfünffachen“)
- Die Arbeit auf Traumkunden fokussiert werden soll („Entspannt Traumkunden gewinnen…“)
- Explizit Begriffe wie „Manifestieren“ benutzt werden („Du manifestierst was das Zeug hält, aber dann hapert es mit der Umsetzung…“)
- Angeblich alles am Mindset hängt („Der eine Mindset-Shift, den Du brauchst um als Coach ausgebucht zu sein“)
- Anbieter mit ihren eigenen Umsätzen angeben („Wie wir in 2023 330.000 Euro Umsatz gemacht haben“)
Alle in Klammern gesetzten Zitate sind Beispiele aus diversen Accounts auf Instagram (aus dem Jahr 2024). Wie man gut sehen kann, bringt die Anziehungskraft dieses Gesetzes eine schöne Portion Leichtigkeit und Mühelosigkeit in ein ansonsten hartes Geschäft: Man benötigt nur das richtige Mindset und schon wird alles sehr viel einfacher.
Es gibt keine Grenzen, es sei denn Du schaffst sie Dir selbst. Alles ist möglich. Du bist nur durch Deine eigene Vorstellungskraft begrenzt.
So richtig zur Entfaltung kommt das Resonanzgesetz aber erst in der Esoterik bzw. in der Welt des „neuen Denkens“ (New Thought). Das obige Zitat etwa stammt von Dolores Cannon, die uns Menschen als schöpferische Wesen sieht, die lernen sollen, Energie zu beeinflussen und damit den Schöpfungsprozess im Universum voranzutreiben. Wenn Sie sich nun fragen, welchen Beitrag die (inzwischen schon verstorbene) Dame selbst geleistet hat, so müssen Sie sich allerdings mit recht profanen „Werken“ zufrieden geben: Dolores Cannon hielt Vorträge und schrieb Bücher. Ein gewiss einträgliches Geschäft, aber ob sie damit die Schöpfung wirklich voran gebracht hat?
Anleihen bei der Quantenphysik
Nicht blenden lassen darf man sich auch von der geschickten Verbindung esoterischer Konzepte mit Versatzstücken aus der Quantenphysik bzw. Quantenmechanik. Da ist dann etwa von „Quantum Entanglement“ die Rede, wonach alles mit allem verbunden und in Interaktion begriffen ist. Physikalisch mag das stimmen, aber das macht das Gesetz der Anziehung noch nicht zu einer wissenschaftlich fundierten Theorie. Es suggeriert nur einen Kontext, der in Wirklichkeit gar nicht gegeben ist. Wer mehr zu diesem „neuen Denken“ und dessen Einfluss heute lesen möchte, sei auf den entsprechenden Artikel im Yoga Wiki verwiesen.
Dort erfährt man dann unter anderem, dass moderne Autoren wie Eckhart Tolle davon beeinflusst sind. Und der Kreis schließt sich, wenn man weiß, dass dieser spirituelle Lehrmeister seine Bücher in der Fernseh-Show von Oprah Winfrey vorstellen durfte, was ihn überhaupt erst bekannt und zum Bestseller-Autor gemacht hat. Nicht wenige Coaches und Marketing-Experten dürften seine Bücher auch in ihrem Regal stehen haben – vielleicht neben den Werken von Napoleon Hill, Dr. Joe Dispenza und anderen…
Schließlich kann man sich das Gesetz der Anziehung auch von Künstlicher Intelligenz erklären lassen: Nicht dass diese Large Language Models wirklich intelligent wären, aber sie haben mittels ihres Trainings anhand einer Vielzahl von Texten aus dem Internet eben gelernt, dass dieses Gesetz irgendwie funktionieren muss, gibt es doch mehr Texte im Web, die das propagieren als solche, die davor warnen!
Wen wundert es da noch, wenn auch im heutigen Marketing so häufig vom richtigen Mindset, dem Manifestieren und der grenzenlosen Vorstellungskraft die Rede ist. Es ist eben alles nur ein schöner Traum und Träume verkaufen sich bekanntlich sehr viel besser als die (manchmal) harte Realität.
Photo von Morgan Sessions auf Unsplash
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